Uwe, Jahrgang 1956,
Vermessungsingenieur*

„Meine Geschichte ist eine Fluchtgeschichte. Nach außen hat immer alles gut gepasst, meine Frau und ich hatten unsere Arbeit, wir hatten untereinander einen guten Zusammenhalt in der Familie und zumindest ich hatte auch meine Eltern in der Nähe. Und doch waren da immer dieser Druck und so ein unbestimmtes Gefühl von Unfreiheit. Anfangs wollte immer meine Frau weg, später auch ich, und eigentlich ging es mehr um unsere beiden Kinder, denen wir eine bessere oder zumindest andere Zukunft bieten wollten.

Als wir 83 mit Wohnwagen am Balaton zum Camping waren, da war dann plötzlich die Chance da, ohne sie wirklich gesucht zu haben. Das lief eigentlich ziemlich ungeplant und chaotisch. Wir sind mit einer anderen Familie, die einen Schleuser kannte, bei Nacht und Nebel über die grüne Grenze rüber in die Steiermark, nur mit dem Nötigsten und unseren beiden Kleinen an der Hand. Natürlich konnten wir vorher mit keinem drüber reden, mit unseren Eltern schon gar nicht.

Heute weiß ich, was sie im Anschluss durchmachen mussten als unsere Flucht sozusagen aktenkundig wurde. Solch eine Entscheidung, wie wir sie damals getroffen haben, war unumstößlich, an Rückkehr war nicht zu denken. Diese Tragweite hatten wir zwar geahnt, aber dennoch in ihrer Wirkung auf uns und unser Leben unterschätzt.

In der BRD haben wir uns dann mit der Zeit und unter großen Mühen eingerichtet – das war besonders anfangs eine harte Zeit, da wir niemanden kannten. Und unsere Verbindung in den Osten war auch gekappt. Meine Geschwister und meine Eltern konnten unseren Schritt natürlich überhaupt nicht nachvollziehen, ich war „unsolidarisch“ und habe „sie im Stich gelassen.“

Bis zum Tod meiner Eltern etliche Jahre nach der Wende war keine richtige Klärung möglich. Trotz der gegenseitigen Besuche, die dann wieder stattfanden, blieb ein Riss im gegenseitigen Vertrauen. Hätte man die Wende geahnt, die paar Jahre bis dahin hätten wir sicher irgendwie ausgehalten.

Heute bin ich im Alter meiner Eltern bei unserer Flucht und spüre, wie sehr der Verlust des Sohnes und der Enkelkinder damals an ihnen gezehrt haben muss. Erst in der Arbeit mit OSTZIGARTIG ® habe ich meine Trauer und Einsamkeit zulassen können und bin nun vielleicht auf dem Weg, sie eines Tages auch vollständig überwinden zu können.“

* Wir danken unseren Klienten für die Freigabe ihrer persönlichen Geschichte. Namen und Bilder wurden zum Schutz ihrer Identität verändert.